Schuld und Schuldzuweisungen

Ein heißes und sehr häufiges Thema einmal aus verschiedenen Perspektiven betrachtet:

thema schuld 1Religiöse Prägungen

Unter Schuld versteht man im Christentum seit über 2000 Jahren die durch fehlerhaftes Verhalten bewirkte Trennung von Gott, die das Gewissen belastet. Kritische Denker fassen sie so zusammen: 2 Menschen haben eine Anweisung nicht befolgt, wurden für immer von ihrem (grausamen, unnachgiebigen?) Gott vertrieben, der seither nicht aufhört, dafür Wiedergutmachung zu fordern und die Schuld in jeden einpflanzt. Das zentrale Dogma des Christentums vom Sühne-Tod Christi am Kreuz führt dazu, das Gewissen von vorhandenem Schuldgefühl zu befreien, um so ein Umdenken des Menschen (Annahme, Akzeptanz) möglich zu machen.

In keiner anderen der Weltreligionen ist die Erde die Heimat der Hölle und die wahre Rückkehr ins Paradies erst nach dem Tod wieder möglich. Dort ist die Erde häufig das Paradies und die Aufgabe besteht darin, dies zu erkennen und dafür dankbar zu sein.
Der Buddhismus stellt z.B. das Schuldgefühl weitgehend in den Bereich des Leids, von welchem man sich über den Weg der Akzeptanz befreit.

 

 

Ethik

Schuld entsteht durch absichtliche oder fahrlässige Verstöße gegen Gebote - wie z.B. Diebstahl oder fahrlässige Tötung. Es wird ein Schuldeingeständnis erwartet und Strafen werden verhängt. In unseren Breiten ist Schuld demnach höchstpersönlich und man geht davon aus, dass die Tat mit schlechter Absicht erfolgte, es also auch hätte unterlassen werden können. Dies ist leider wenig subtil, weil Überlegungen wie sittliche Reife und die Einsichtsfähigkeit sowie die Motive außer Acht gelassen werden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Menschen wegen ihrer Fähigkeit, ihr Verhalten an den verpflichtenden Wertvorstellungen und Normen auszurichten und ihren Antrieben nicht wehrlos ausgeliefert sind, ist es oftmals schwierig zu entscheiden, wer an einer Handlung schuld ist.

Allgemein existiert die Vorstellung, dass ein Ausgleich geschaffen werden kann, wenn der Schuldige Buße tut, Wiedergutmachung leistet, die Untat gerächt wird (Vergeltung) oder dem Schuldigen vergeben wird und nach seiner Sühne ist diese Schuld dann erloschen. Hat ein Mensch keine Schuld an einem Vergehen, so ist er unschuldig bzw. in juristischer Diktion ‚schuldlos‘.

Überzeugungstäter wie z.B. Attentäter stellen hier ein besonderes Problem dar, dem ich jedoch in der Praxis eher beim Thema Eifersucht und Besitzanspruch begegne. Dann gibt es Konflikte zwischen den Überzeugungen des Täters und den ethischen Forderungen und Pflichten der Gemeinschaft.

Das Gefühl

Ein Schuldgefühl ist eine – normalerweise als negativ wahrgenommene – soziale Emotion, welche bewusst oder unbewusst, einer Fehlreaktion, Pflichtverletzung oder Missetat folgt. Mögliche körperliche Reaktionen können u.a. Depressionen, Erröten, Fieber, Magenschmerzen u.v.m. sein. Häufig sind Schuldgefühle auch mit Scham oder Angst verknüpft. Dies zu unterscheiden ist für Betroffene fast unmöglich. In der Fachliteratur wird Scham von Schuld folgendermaßen getrennt: Schuld* wird durch eine negative Bewertung eines spezifischen Verhaltens erzeugt („Ich habe etwas Falsches getan“). Scham wird durch eine negative Bewertung des Selbsts erzeugt („Ich bin ein schlechter Mensch“). Dieses wird einem unerreichbaren Idealbild gegenübergestellt.

Schuldgefühle entstehen in der Kindheit meist zwischen dem 2. (Beginn des Trotzalters) und 3. Lebensjahr. Meistens handelt es sich um Ereignisse, an die sich kaum ein Mensch bewusst erinnern kann. Sie werden dadurch erzeugt, dass das Kind absichtlich oder unabsichtlich gegen Gebote und Regeln oder bestimmte moralische Ansichten und Pflichten verstößt. Das bedeutet also, dass ein Schuldgefühl auch durch schwer nachvollziehbare Auslöser entstehen kann. Es wird also entweder von der Umwelt gefordert oder vom Betroffenen selbst entwickelt und verstärkt, vor allem durch Wiederholungen. Sehr häufig handelt es sich dabei um plötzlich auftretende und emotional sehr belastende Situationen, die miteinander verknüpft werden, z.B. plötzlicher Unfall mit Todesfolge eines nahestehenden Menschen, sexueller und körperlicher Missbrauch, harte körperliche und verbale Bestrafung von Regelverstößen sowie wiederholte Schuldzuweisungen.

Die Folge können Gewissensbisse, Ärger, Angst und Panik sein. Der Mensch wird von innerer Unruhe getrieben, hat ständig ein schlechtes Gewissen und leidet allgemein unter einem bedrückenden Gefühl. Zweifel, Selbstanklagen und ständige gedankliche Beschäftigung mit dem tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlverhalten lassen Betroffene oft ausgeprägte Reue empfinden und es entsteht ein fast zwanghaftes Wiedergutmachungsverhalten oder auch zur Strafe selbstverletzendes Verhalten. Besonders wenn Betroffene ihr Verhalten selbst als falsch bewerten und sich dafür als Mensch verurteilen und sich nicht mehr abgrenzen können, also selbst ausgewogen und klar beurteilen und verstehen können. Sie werden dann häufig abhängig von der Anerkennung und Zustimmung anderer.

Das Schuldgefühl kann also ein Alarmsignal sein, das wie ein Schmerzgefühl Gefahr anzeigt. Der Psychiater Bonelli meinte dazu: "Normalerweise hat man Schuldgefühle, weil man schuldig geworden ist. Es ist völlig normal, schuldig zu werden. Das menschliche Leben besteht darin, Unrecht zu erleiden und Unrecht zu tun. Schuldbewusstsein, Schuldgefühle, Gewissensbisse und ein schlechtes Gewissen sind an und für sich Zeichen für psychische Gesundheit... früher habe man Sex verdrängt, heute verdränge man Schuld. Das mache den Menschen unfähig, um Verzeihung zu bitten und so seine Beziehungen zu sanieren."

 

 

*Michael Lewis (2000)